– Wenn Kleider Leute machen und Kompetenzen irrelevant sind –

Eine hochqualifizierte Frau sucht seit Monaten eine Stelle in der Pflegebranche. Die Suche erweist sich als aussichtslos. Der Grund ist simpel – sie trägt ein Kopftuch.

Interview mit Frau K. Kara

FIDS: Über welche Qualifikationen und Erfahrungen verfügst du?

Ich habe meine Ausbildung als Dipl. Gesundheits- und Krankenschwester in Österreich abgeschlossen, danach vier Jahre gearbeitet. Ging dann für drei Jahre nach Australien, um meine Englischkenntnisse zu verbessern. Dort habe ich in der Pflege gearbeitet und gleichzeitig studiert, um einen Masterabschluss in Health Information Management zu erlangen. Danach habe ich als ICT-Projektleiterin in der Informatikabteilung eines Spitals gearbeitet. Später habe ich ein CAS in IT-Projektmanagement an der Hochschule Luzern abgeschlossen. Meine letzte Anstellung war in einem Bundesasylzentrum (BAZ) als Dipl. Pflegefachfrau. Das war etwas, was ich mir schon immer gewünscht habe.

Du bist nicht lange in der Schweiz wohnhaft. Wie beschreibst du deine Lebenssituation in den letzten Monaten?

Schwierig, durcheinander, unstabil.

Warum? Hängt das vielleicht mit deinen Erfahrungen bei der Stellensuche in der Pflege oder im IT-Bereich zusammen?

Ja, ganz klar. Mit der Stellensuche habe ich schlechte Erfahrungen sammeln müssen.

Ich fand eine Vermittlungsfirma, die sehr von meinem Lebenslauf begeistert war und mir grosse Hoffnungen für eine Anstellung machte. Nach langen vier Monaten wurde ich an ein Vorstellungsgespräch eingeladen.

Bei diesem Vorstellungsgespräch im Okt. 2021 wurde mir mitgeteilt, dass es mit der Geschäftsleitung abgeklärt werden muss, ob eine Anstellung mit Kopftuch möglich sei. Das Gleiche passierte mir auch einen Monat später in einer anderen Institution. Natürlich bekam ich keine der beiden Stellen.

Des Weiteren bewarb ich mich auf eine Stelle als Medizininformatikerin, wofür ich gemäss Stellenbeschreibung alle Kriterien erfüllte. Obschon alles zu stimmen schien, bekam ich die Antwort, dass es qualifiziertere Kandidaten gab. Zu meinem Erstaunen war diese Stelle nach 5 Monaten immer noch unbesetzt.

K. Kara trägt erst seit November 2019 ein Kopftuch. Vorher hatte sie nie Probleme bei der Stellensuche und wurde sehr oft zu Vorstellungsgesprächen eingeladen.

Kannst du diese Absagen hinsichtlich dem hohen Fachkraftbedarf in der Pflege nachvollziehen?

Nein, das kann ich wirklich nicht. Ich bin erstaunt über die Absagen. Ich habe mich bei einer temporären Stellenvermittlung sogar zweimal beworben. Es gibt keinen logischen Grund für eine Nichtanstellung, denn ich habe über 10 Jahre Berufserfahrung und würde auch ein Einkommen für das Stellenvermittlungsbüro generieren. Beim zweiten Bewerbungsversuch haben sie mir dann mitgeteilt, dass eine Zusammenarbeit mit mir nicht in Frage kommt. Das tat weh!

Ich frage mich, warum man im Rahmen der Pandemie einen Notstand ausgerufen hat.

Wofür steht die Pflegeinitiative, geht es dabei wirklich um den Patienten?

Stellen Sie sich vor, sie liegen stationär im Spital und Ihre Bezugsperson kann Ihnen nicht ausreichend helfen, weil sie wegen einem Personalmangel mehr Patienten betreuen muss. Gleichzeitig sucht eine Pflegefachfrau mit Kopftuch, die mindestens gleich gut, vielleicht sogar besser als die Pflegefachfrau ohne Kopftuch ausgebildet ist, eine Arbeitsstelle.

Was würden Sie sich als Patient wünschen? Macht es für Sie einen Unterschied, ob Sie von einer Pflegefachfrau mit oder ohne Kopftuch gepflegt und betreut werden? Möchte nicht jeder die bestmögliche Pflege und Betreuung erhalten?

Wie hast du dich nach den vielen Stellenabsagen gefühlt?

Nicht wertgeschätzt, nicht ernst genommen, ich fühlte mich klein. Ich frage mich bis heute noch, warum ich so viel Zeit, Nerven und Geld in meine Ausbildungen investiert habe. Gemessen an meiner aktuellen Erfahrung sehe ich, dass diese Ausbildungen keine besondere Rolle spielen.

Meine ganze Ausbildung und Erfahrung sind bei der Anstellung nicht ausschlaggebend, sondern hauptsächlich andere, äusserliche Faktoren.

Viele Leute sagen jetzt: Wir sind in der Schweiz, wenn du hier einen Job finden willst, musst du eben das Kopftuch ablegen. Was sagst du dazu?

Warum redet man von der Integration? Der Bund investiert Millionen von Franken für die Integration. Wofür?

Es erstaunt mich, dass wir uns im Jahr 2022 immer noch mit solchen Themen beschäftigen müssen. Leben wir denn nicht einer globalen Welt? Leben wir denn nicht in einem Land mit Religionsfreiheit?

Du hast jetzt eine Stelle gefunden, die nicht deinem Berufswunsch entspricht. Stimmt das so für dich?

Ich bin sehr dankbar für diese Erfahrung, es hat mir die Augen geöffnet. Ich sehe vieles nun ganz anders. Im Koran steht es „Also gewiss, mit der Erschwernis kommt die Erleichterung, wahrlich, mit der Erschwernis kommt die Erleichterung» (94:5-6).“

Wie stellst du dir deine Zukunft vor, welche Pläne hast du?

Mir ist sehr klar geworden, dass ich mit meinem Kopftuch nicht meine Traumstelle bekommen werde, respektive eine Karriere planen kann.

Ich möchte schon länger selbstständig werden und mit dieser Erfahrung bin ich meinem Wunsch näher. Es gibt Projekte an denen ich arbeite. Ich träume davon eines Tages Frauen mit Kopftuch bei mir anzustellen, die genau wie ich, sehr gut ausgebildet sind, aber ihre Chance von der Gesellschaft nicht bekommen haben.