«Gesichter der Schweiz: Musliminnen stellen sich vor»

Musliminnen werden in den Medien oft auf eindimensionale Stereotypen reduziert, die nicht die Vielfalt ihrer Erfahrungen und Identitäten widerspiegelt. Sie werden oft als unterdrückt, unterwürfig und rettungsbedürftig dargestellt, wodurch schädliche Stereotypen perpetuiert werden. Diese engstirnige Darstellung wird oft als politisches Instrument benutzt, um Islamophobie zu schüren. Die Realität ist jedoch anders und muslimische Frauen auf der ganzen Welt wollen von den Medien als komplexe und vielfältige Menschen wahrgenommen werden, die ihr Leben selbst bestimmen können.

Mit dieser Portrait-Reihe «Gesichter der Schweiz: Musliminnen stellen sich vor» stellt die FIDS Musliminnen vor, die in der Schweiz leben und aktiv unsere Gesellschaft mitgestalten. Wir wollen Musliminnen in der Schweiz eine Plattform geben, um ihre persönliche Erfahrung und Meinung authentisch darzustellen.

Safije Odai stellt sich vor

FIDS:  Können Sie sich und Ihre aktuelle Beschäftigung kurz vorstellen?

Safije: Ich heisse Safije Odai, bin 20 Jahre alt und komme ursprünglich aus Nordmazedonien. Ich lebe in Biel/Bienne, Stadt des Kantons Bern und bin bereits vor 10 Jahren in die Schweiz eingereist. Zurzeit besuche ich die zweisprachige Berufsmaturität auf Deutsch und Französisch. Später möchte ich sehr gerne an einer Höheren Fachschule Wirtschaft studieren.

FIDS:  Wie erleben Sie als kopftuchtragende Muslimin die Jobsuche?

Safije:  Als ich vor 4 Jahren eine Lehrstelle suchen musste, habe ich die Stellensuche als kopftuchtragende Muslimin als sehr schwierig erlebt. Ich habe zahlreiche Bewerbungen verschickt und trotzdem nur Absagen erhalten. Einige waren grundlos, doch manche haben mich ganz klar wegen meinem Kopftuch abgelehnt. Diese Zeit war für mich schrecklich, ich sah keine Zukunft vor meinen Augen.

FIDS:  Wie gehen Sie mit Absagen um?

Safije: Damals konnte ich meine Emotionen leider nicht richtig steuern und war sehr erschöpft, weil ich nie die Möglichkeit bekam mich vorzustellen, obwohl ich eine Schülerin mit guten Schulleistungen war. Dies bereitete eine grosse Konfusion in mir, denn schliesslich ist nur mein Kopf bedeckt und nicht mein Gehirn!

FIDS:  Wie gehen Sie mit Zweifelsgefühlen um, haben Sie Angst um Ihre Zukunft?

Safije:  Wenn ich meine Errungenschaften sehe, habe ich keine Angst um meine Zukunft, doch erachte ich sie eher als eine grosse Herausforderung.

FIDS:   Kennen Sie Frauen, die das Kopftuch gerne tragen würden, aber aufgrund von offensichtlichen Einschränkungen in der Arbeitswelt und in ihrem Umfeld davon absehen?

Safije:  Leider kenne ich viele Musliminnen aus meinem Umfeld, die gerne das Kopftuch tragen würden, doch trauen sie sich aufgrund des Arbeitsorts nicht. Sie machen sich Sorgen über die Reaktionen des Arbeitgebers und der Mitarbeiter. Falls sie sich für ein Kopftuch entscheiden würden, wäre dies wahrscheinlich ihr erster und letzter Tag auf ihrem Arbeitsplatz mit einem Kopftuch.

FIDS:   Fühlen Sie sich integriert als Muslimin, welche Vor- und Nachteile erleben Sie im Alltag oder in der Arbeitswelt/im Studium?

Safije:  Als Muslimin fühle ich mich sehr integriert in der Schweiz. Ich kenne die Kultur, Geschichte und Regierung der Schweiz. Ich werde in der Schule von Lehrern und Studenten nie ausgeschlossen und fühle mich sehr wohl. Was ich vielleicht als ein Nachteil bezeichnen könnte, sind die fremden Blicke mancher Leute. Entweder passiert das aus Neugier oder eben auch aus Hass. Eine erfolgreiche Integration bedeutet doch nicht, die eigene Herkunft oder Religion aufzugeben, um in einem Land richtig integriert zu sein.

FIDS:   Wie stehen Sie zur Schweizer Rechtsordnung und Ihren gesellschaftlichen Pflichten?

Safije:  Die Schweizer Rechtsordnung und die gesellschaftlichen Pflichten respektiere ich so wie es jedes Individuum in der Schweiz tun sollte.

FIDS:   Wie stehen Sie zu Regierungen im Ausland und werden Sie von nicht-schweizerischen staatlichen Ideologien in Ihrem Denken und Handeln beeinflusst?

Safije:  Ich lasse mich nicht von anderen staatlichen Ideologien beeinflussen, sondern versuche so gut wie möglich den Koran, die Sunna und die demokratisch-schweizerische Rechtsordnung zu befolgen.

FIDS:   Zwingen Sie das Kopftuch ihren Kindern auf, bzw., werden Sie dies in Zukunft tun?

Safije:  Nein, Zwang ist verboten im Islam, ausserdem ist Zwang oft keine Lösung. Jedoch werde ich ihnen den Islam beibringen und ihnen danach die Entscheidung dafür überlassen.

FIDS:   Aktuell unterdrückt und foltert das iranische Regime die Frauen im Land und zwingt ihnen das Tragen des Kopftuchs auf. Wie stehen Sie dazu?

Safije:  Aus meinem religiösen Wissen glaube ich fest daran, dass dieser Umgang mit den Frauen nicht mit unserem Glauben übereinstimmt. Kleidung kann nicht aufgezwungen werden. In meinen Augen kommen wir leider wieder auf das gleiche Problem, wie in den Ländern, wo man die Frauen zwingt das Kopftuch auszuziehen.

FIDS:  Wie beurteilen Sie totalitäre Ideologien wie z.B. in Afghanistan?

Safije:  Freiheit ist das Wichtigste. Totalitäre Ideologien haben nie ein gutes Ende.

FIDS:   Die Kopftuchdebatte sorgt bereits seit Jahrzehnten für Schlagzeilen. Wie nehmen Sie die dadurch entstehende Stigmatisierung von muslimischen Frauen in der Schweiz wahr?

Safije:  Wenn man mich fragt, finde ich, dass diese Tatsache sehr schade ist. Im einundzwanzigsten Jahrhundert erleben Kopftuchträgerinnen immer noch diese Art von Klassifizierung. Es ist nicht nachvollziehbar, warum dieses Thema immer noch für Debatten sorgt. Meiner Meinung nach wird in unserer Gesellschaft leider viel mehr verurteilt als anerkannt.

FIDS:   Die Polemik um das Kopftuch wird oft genutzt, um vor einer Islamisierung der Gesellschaft zu warnen und ein Beispiel für die Konsequenzen solcher Polemiken wären die Diskussionen rund um ein Kopftuchverbot am Arbeitsplatz. Wie beurteilen Sie dieses Thema?

Safije:  Ich bin sehr enttäuscht, dass solche Diskussionen in der Schweiz geführt werden. Ein Kopftuchverbot am Arbeitsplatz wäre für mich etwas Unvorstellbares. Es würde meine Zukunft und diejenige vieler anderer Kopftuchträgerinnen demolieren.

FIDS:   Tragen Sie / Empfinden Sie das Kopftuch als politisches Symbol, wie es den Musliminnen oft vorgeworfen wird?

Safije:  Auf keinen Fall, das Kopftuch hat mit der Politik gar nichts zu tun.

FIDS:   Die «Verschleierung» wird oft als Symbol der Unterdrückung und die «Entschleierung» als Zeichen der Emanzipation und Modernität dargestellt. Wie sehen Sie das?

Safije:  Oft wird die Verschleierung von den nicht Muslimen als eine Unterdrückung der Frauen gekennzeichnet. Jedoch tragen sie dies aus voller Überzeugung, die sie gegenüber ihr Glauben haben. Jede Frau hat das Recht anzuziehen, worin sie sich auch wohlfühlt. In unserer Religion existiert die Modernität nicht, der Mensch selbst besitzt nicht das Recht, die Religion an sich anzupassen.

FIDS:   Sehen Sie Frauen ohne Kopftuch anders an als Frauen, die das Kopftuch tragen?

Safije:  Ich betrachte alle Frauen gleich. Ich respektiere ihre Persönlichkeiten und Entscheidung, das zu tragen, was sie wollen. Der einzige Unterschied zwischen einer Frau mit oder ohne Koptuch, ist diese eigene Entscheidung.