«Gesichter der Schweiz: Musliminnen stellen sich vor»

Musliminnen werden in den Medien oft auf eindimensionale Stereotypen reduziert, die nicht die Vielfalt ihrer Erfahrungen und Identitäten widerspiegelt. Sie werden oft als unterdrückt, unterwürfig und rettungsbedürftig dargestellt, wodurch schädliche Stereotypen perpetuiert werden. Diese engstirnige Darstellung wird oft als politisches Instrument benutzt, um Islamophobie zu schüren. Die Realität ist jedoch anders, und muslimische Frauen auf der ganzen Welt wollen von den Medien als komplexe und vielfältige Menschen wahrgenommen werden, die ihr Leben selbst bestimmen können.

Mit dieser Portrait-Reihe «Gesichter der Schweiz: Musliminnen stellen sich vor» stellt die FIDS Musliminnen vor, die in der Schweiz leben und aktiv unsere Gesellschaft mitgestalten. Wir wollen Musliminnen in der Schweiz eine Plattform geben, um ihre persönlichen Erfahrungen und Meinungen authentisch darzustellen.

K. T. stellt sich vor:

FIDS: Können Sie sich und Ihre aktuelle Beschäftigung kurz vorstellen?

K.T.: Ich bin Studentin an der ZHAW, bin 24 Jahre alt und komme aus Zürich.

FIDS: Wie erleben Sie als (kopftuchtragende) Muslimin die Jobsuche?

K.T.: Ich trage seit Sommer 2019 ein Kopftuch und bin seitdem Studentin, habe somit als Hijabi noch keine vollzeitige Arbeitsstelle gesucht. Ich habe jedoch einige Teilzeitstellen gesucht, bin aber noch nicht fündig geworden.

FIDS: Wie gehen Sie mit Absagen um?

K.T.: Da ich mich bis jetzt nur für einige Teilzeitstellen beworben habe, fand ich es nicht besonders schlimm, dass ich nur Absagen erhalten habe. Trotzdem waren die Absagen nicht immer einfach zu verdauen. Die ein oder andere Vakanz war für mich sehr interessant und ich sah mich als kompetente Bewerberin, jedoch musste ich mich mit den Absagen anfreunden. Mein Kopftuch oder meine Religion war nie der offen gesagte Grund für eine Absage. Jedoch habe ich mich schon bei einigen Absagen gefragt, ob es doch am Hijab liegen könnte, da es eine Position mit viel Kundenkontakt war. Da man aber selten eine Absage mit einem religiösen Grund erhält, auch wenn es daran scheitert, kann man auch nicht sicher sein, woran es genau liegt. In solchen Situationen gibt es für mich nur eins zu sagen: khayr.

FIDS: Wie gehen Sie mit Zweifelsgefühlen um, haben Sie Angst um Ihre Zukunft?

K.T.: Ich frage mich oft, ob ich eine für mich passende Stelle finden werde. Also ja, es gibt gewisse Ängste. Wenn solche Gedanken aber hochkommen, versuche ich mich immer daran zu erinnern, dass die Zeit sich verändert hat. Viele Muslim*innen sind nun im Arbeitsmarkt, egal in welcher Position, vertreten. Dies sollte uns Hoffnung geben und die Ängste ein wenig wegnehmen. Ebenfalls herrscht mittlerweile mehr «awareness». Arbeitgeber*innen sind sich immer mehr und mehr bewusst, dass sie ihre Mitarbeitenden fair und neutral behandeln müssen. Es gibt auch immer mehr Menschen, die für ihre Rechte einstehen, wenn sie nicht respektvoll behandelt werden.

FIDS: Fühlen Sie sich integriert als Muslimin, welche Vor- und Nachteile erleben Sie im Alltag oder in der Arbeitswelt/im Studium?

K.T.: Ich persönlich fühle mich schon integrieret. Aber mehr, weil das ein persönliches Gefühl ist, und nicht, weil mich Mitmenschen immer respektvoll behandeln. Vorteile im Studium erkenne ich daran, dass man immer auch Gleichgesinnte findet. Oder weil ein stetiger Austausch stattfindet und man seinen Mitmenschen etwas Neues beibringen kann, und auch selbst etwas Neues lernen kann. Studierende sind zum Teil etwas offener und diskutieren gerne. Auch wenn man nicht immer gleicher Meinung ist oder auf denselben Nenner kommt, nimmt man viel mit aus solchen Gesprächen und kann eine neue Perspektive erkennen. Im besten Fall wird das Gespräch einem zum Nachdenken und Reflektieren anregen.
Nachteile sind aus persönlicher Erfahrung mit Dozenten gemacht worden. Ein unnötiger und unangebrachter Witz. Ich habe diesen dann im Sekretariat platziert und habe darauf gehofft, dass sich etwas ändern wird. Auch eine andere Studentin hat sich bei jemandem über den gleichen Fall beklagt. Jedoch wurde es dann als: «Es war bestimmt nur ein Witz. Sie müssen nicht immer alles ernst nehmen», deklariert. Es ist schade zu sehen, dass Personen in einer höheren Position in solchen Situationen nicht handeln. Wenn solche Probleme nicht angesprochen werden und bei den Entscheidungsträgern nicht platziert werden, wird die Veränderung auch verzögert.

FIDS: Die Kopftuchdebatte sorgt bereits seit Jahrzehnten für Schlagzeilen. Wie nehmen Sie die dadurch entstehende Stigmatisierung von muslimischen Frauen in der Schweiz wahr?

K.T.: Im Alltag empfinde ich es nicht direkt als störend, sondern mehr als auffallend. Also mir fällt zum Beispiel auf, dass Menschen mich auf der Strasse oder im Öffentlichen Verkehr einfach anschauen. Ebenfalls sind gewisse Kommentare oder Fragen zu hören. Ob dies nun durch die Kopftuchdebatte entstanden ist, kann ich nicht bestätigen. Es könnte auch von Unwissen oder Ignoranz hervorkommen. Die Kopftuchdebatte und auch die Minarettinitiative haben diesen Diskurs aber bestimmt gefördert.

FIDS: Die Polemik um das Kopftuch wird oft genutzt, um vor einer Islamisierung der Gesellschaft zu warnen. Wie beurteilen Sie solche Aussagen? Wie können solche Polemiken vermieden werden?

K.T.: Ich würde der Aussage so zustimmen, dass vor etwas gewarnt wird, wovor gar nicht gewarnt werden muss. Ein Kopftuch ist eine persönliche Entscheidung und etwas, was gar keinen Einfluss auf andere hat. Eine Hijabi macht ihre Arbeit in der Schule oder am Arbeitsplatz genau so, wie eine Frau, die kein Kopftuch trägt. Wovon sich die Gesellschaft womöglich scheut, ist, dass man die Frau nicht mehr auf ihr Äusseres herunterbrechen kann, sondern ihre vorgelegte Arbeit betrachten muss. Das kommt denen nicht zum Vorteil, die Frauen sexualisieren bzw. auf ihr Geschlecht minimieren wollen.
Die Polemik wäre zu vermeiden, wenn ein öffentlicher Diskurs auf Augenhöhe stattfindet. Wenn über die Gedanken diskutiert wird und Aufklärungsarbeit geleistet wird, anstatt von seiner eigenen Meinung überzeugt zu sein und sich gewisser Massen überlegen zu sehen. Ich kann mich noch an einen Kommentar von einem erwachsenen Schüler erinnern, welcher in der Berufsmaturität Kopftuch tragende Frauen als «zurückgeblieben» bezeichnete. Wenn dieser Mann eine Hijabi als zurückgeblieben empfindet, hat er seine Meinung schon gebildet und scheint eine Person zu sein, die nicht offen für ein Gespräch ist, da es seinerseits ein Statement war und kein Gedankenanstoss. Man könnte ein Buch darüber schreiben, um diese Frage zu beantworten. Ein Interview reicht dazu nicht aus. Vieles hängt von Stereotypen ab und gewisse Parteien, egal ob politisch oder nicht, profitieren von der Angst der Gesellschaft.

FIDS: Ein Beispiel für die Konsequenzen dieser Polemik wären die Diskussionen rund um ein Kopftuchverbot am Arbeitsplatz. Wie beurteilen Sie dieses Thema?

K.T.: Wie schon vorhin erwähnt, ist es für gewisse Personen einfacher eine Frau anhand ihres Geschlechts in eine bestimmte Position zu kategorisieren, als ihre Arbeit anhand von Tatsachen und Geleistetem zu beurteilen. Wenn man nicht klar kommt mit der entsprechend (guten) Leistung von jemandem, ist die Versuchung gross, einen Kritikpunkt zu finden. Bei Hijabis ist das meistens das Kopftuch. Bei einer Frau ist es ihr Geschlecht. Das sind alles Probleme, die uns allen bekannt sind.

FIDS: Die «Verschleierung» wird oft als Symbol der Unterdrückung und die «Entschleierung» als Zeichen der Emanzipation und Modernität dargestellt. Wie sehen Sie das?

K.T.: Eine Gegenfrage: «Wenn ich als Frau meinen Körper und meine Haare nicht jedem frei zur Verfügung stellen will, ist das dann Unterdrückung?»
Ist es wirklich Unterdrückung, wenn ich nicht auf meinen Körper reduziert werden will? Wenn ich als Frau an einem Gespräch teilnehmen will, ohne dass man mich «angafft»? Wenn ich ein Gespräch versuche zu führen und man mir immer dabei auf meine Haare, an meine Körperteile starrt? Wenn ich auf Kommentare wie «Oh, deine Haare sind besonders schön, du hast einen so schönen Körper» verzichten will? Für mich ist die «Verschleierung» keine Unterdrückung, sondern eine Freiheit. Ich fordere mein Gegenüber sogar dazu auf, sich mit meinen Aussagen und meiner Intelligenz zu messen und nicht anhand dem, wie ich aussehe.
Die Anzahl der Frauen, die wir kennen, welche am Arbeitsplatz von Männern auf ihr Aussehen reduziert werden und Kommentare zu ihrem Aussehen erdulden müssen, und deren kognitive Intelligenz nicht mal beachtet wird, ist gross.
Ebenfalls finde ich die Aussage, dass man Frauen von etwas «befreit», indem man ihnen vorschreibt, was sie tragen dürfen, total paradox. Wo liegt die Modernität, wenn anhand von Reglementen festgelegt wird, dass ich mich nicht so kleiden darf, wie ich will? Wo steckt die Demokratie, wenn man mir vorschreibt, was ich zu tragen habe und was nicht? Leben und leben lassen.

 

FIDS: Tragen Sie / Empfinden Sie das Kopftuch als politisches Symbol, wie es den Musliminnen oft vorgeworfen wird?

K.T.: Ich trage und empfinde das Kopftuch als einen Gottesdienst für Allah. Zusätzlich sehe ich es als ein religiöses Symbol, welches zeigt, dass ich eine Muslimin bin.

FIDS: Aktuell unterdrückt und foltert das iranische Regime die Frauen im Land und zwingt ihnen das Tragen des Kopftuchs auf. Wie stehen Sie dazu?

K.T.: In Surah al-Baqarah (Die Kuh) sagt Allah: «Es gibt keinen Zwang im Glauben. (Der Weg der) Besonnenheit ist nunmehr klar unterschieden von (dem der) Verirrung.» Es soll also nicht erzwungen werden. Genauso wie aber niemandem das Tragen des Kopftuches erzwungen werden sollte, sollte auch niemandem das Tragen des Kopftuches verboten werden. In jeglicher Hinsicht. Ich unterstützte somit keines der beiden Extremen.

FIDS: Kennen Sie Frauen, die das Kopftuch gerne tragen würden, aber aufgrund von offensichtlichen Einschränkungen in der Arbeitswelt und in ihrem Umfeld davon absehen?

K.T.: Ja, sogar einige Frauen. Viele trauen sich nicht, weil ihr Arbeitgeber dies nicht befürwortet.

FIDS: Sehen Sie Frauen ohne Kopftuch anders an als Frauen, die das Kopftuch tragen?

K.T.: Nein, warum sollte ich auch? Es ist eine persönliche Entscheidung, die viele Faktoren beinhaltet. Familie, Arbeit, Schule, persönliche Entwicklung und Mut. Diese Entscheidung geht mich nichts an und ich habe kein Recht, diese Entscheidung zu werten.

FIDS: Zwingen Sie das Kopftuch ihren Kindern auf, bzw, werden Sie dies in Zukunft tun?

K.T.: Wie schon erwähnt, gibt es keinen Zwang in unserem Glauben. Und ich weiss auch nicht, wie sich die Situation in der Zukunft ergeben wird. Natürlich würde ich nicht jemandem das Kopftuch aufzwingen wollen. Man könnte aber hoffen, dass eine Tochter ihre Mutter als Vorbildfunktion sieht und auch so sein will, wie sie. Auch hier ein Gedankenstoss; Es gibt Veganer*innen, welche ihre Kinder vegan erziehen, nur weil sie selbst nach Jahren sich für diesen Weg entschieden haben. Oder es gibt genug Impfgegner*innen, welche ihre Kinder nicht impfen lassen, auch wenn WHO oder Ärzte*innen gewisse Impfungen mehr als empfehlen. Was ich damit sagen will, jedes Elternteil trifft manchmal Entscheidungen aus eigener Überzeugung. Wie gesagt, ich be- und verurteile niemanden. Ich hoffe jedoch, dass wir alle gute Vorbilder für zukünftige Generationen sein werden.

05.07.2023, FIDS Medienteam