Warum antimuslimischer Rassismus – Rassismus ist auch wenn es keine „Rasse“ gibt
Immer wieder taucht die gleiche Frage auf: „Muslime sind doch keine Rasse – wieso nennt man das Rassismus?“
Die Antwort: Weil Rassismus schon lange nicht mehr auf “biologische Rassen” reduziert wird. Aktuelle Studien – etwa der DeZIM-Bericht “Rassistische Realitäten” in Deutschland und die neue Grundlagenstudie des Schweizerischen Zentrums für Islam und Gesellschaft (SZIG, 2025) – zeigen, dass Rassismus heute viel breiter wirkt: Er trifft Menschen, die als „anders“ markiert werden, unabhängig davon, ob es dafür biologische Merkmale gibt oder nicht.
Rassismus ohne Rassen
Früher wurde Rassismus biologisch begründet: Menschen wurden nach Hautfarbe oder Herkunft sortiert, mit verheerenden Folgen wie Kolonialismus oder Apartheid.
Heute spricht die Forschung von einem „Rassismus ohne Rassen“. Das bedeutet: Auch Religion, Kultur, Sprache oder Aussehen können zur Grundlage werden, um eine Gruppe abzuwerten.
Entscheidend ist der Prozess der Rassifizierung: Menschen werden pauschal zu einer homogenen Gruppe erklärt („die Muslime“), mit vermeintlich feststehenden Eigenschaften – etwa „rückständig“, „frauenfeindlich“ oder „gefährlich“. Dadurch wird eine vielfältige Realität reduziert und in eine stereotype Schublade gepresst.
Wie antimuslimischer Rassismus wirkt
Antimuslimischer Rassismus ist mehr als ein Vorurteil oder eine Meinung. Er ist ein soziales Verhältnis, das sich in Alltag, Medien, Politik und Institutionen zeigt. Typische Mechanismen:
- Rassifizierung: Menschen werden als „Muslime“ markiert, egal ob sie religiös sind oder nicht.
- Essentialisierung: Ihnen werden feste Eigenschaften zugeschrieben, als seien sie naturgegeben.
- Hierarchisierung: Das „Wir“ wird als modern und gleichberechtigt dargestellt, während Muslim:innen als rückständig gelten.
- Strukturelle Folgen: Diese Bilder legitimieren Benachteiligungen –
- in Schule & Bildung (Kinder mit muslimischen Namen gelten als „Integrationsproblem“),
- auf dem Arbeitsmarkt (Bewerbungen mit muslimisch klingenden Namen haben schlechtere Chancen),
- beim Wohnen (Vermieter lehnen Bewerber:innen aufgrund von Name oder Kopftuch ab),
- in der Politik & im Recht (z. B. Minarettverbot oder Kopftuchdebatten),
- und im Gesundheitswesen (Patient:innen berichten von Vorurteilen, schlechterer Kommunikation oder verweigerter Behandlung).
Es geht also nicht um „Kritik am Islam“, sondern um systematische Ausgrenzung, die ganze Lebensbereiche betrifft.
Historische Wurzeln – alte Muster, neue Gesichter
Antimuslimischer Rassismus ist nicht neu. Schon im Mittelalter wurden Muslim:innen als „Sarazenen“ als Fremde und Feinde markiert. Dieses Feindbild diente dazu, eine christliche Identität im Gegensatz zu einem muslimischen „Anderen“ zu definieren.
Mit dem Osmanischen Reich lebte diese Vorstellung wieder auf – Muslim:innen wurden als militärische Bedrohung gesehen. Später verwandelte sich das Bild: Der „Orient“ erschien nun als exotisch und faszinierend, aber gleichzeitig als minderwertig.
Auch die Schweiz war Teil dieser Denkmuster. Sie hatte zwar keine eigenen Kolonien, doch Schweizer Kaufleute, Banken und Missionare profitierten stark von kolonialen Strukturen. In sogenannten „Völkerschauen“ wurden noch bis ins 20. Jahrhundert Menschen aus muslimischen Kontexten wie Schauobjekte präsentiert. So wurde das Bild vom „fremden Islam“ tief in der Gesellschaft verankert.
Im 20. Jahrhundert erhielt diese Tradition einen neuen Namen: die „Überfremdung“. Zuwanderung wurde als Gefahr dargestellt, die das „eigene Land“ überrollen könnte. Was zuerst gegen Italiener:innen oder Jüd:innen gerichtet war, trifft heute vor allem Muslim:innen.
Die Spuren dieser Logik zeigen sich bis heute:
- Minarettverbot (2009) – ein symbolischer Eingriff in die Religionsfreiheit, der Muslim:innen als Bedrohung für die nationale Identität darstellte.
- Verhüllungsverbot (2021) – offiziell allgemein formuliert, in der Debatte aber fast ausschliesslich auf muslimische Frauen bezogen.
- Kopftuchverbote in Schulen – eine gezielte Einschränkung religiöser Sichtbarkeit, die vor allem Mädchen und Frauen trifft.
Diese Beispiele machen deutlich: Alte Muster verschwinden nicht. Sie kleiden sich in neue Worte, werden in Abstimmungen gegossen – und bestimmen weiterhin, wie Muslim:innen in der Schweiz und in Europa gesehen werden.
Warum der Begriff wichtig ist
Manche sprechen lieber von „Islamkritik“ oder „Islamfeindlichkeit“. Doch diese Begriffe greifen zu kurz. Denn:
- Es geht nicht um Religion an sich, sondern um die Abwertung von Menschen.
- Es geht nicht nur um individuelle Vorurteile, sondern um strukturelle Ungleichheit.
- Es geht nicht nur um Ideologie, sondern um ganz konkrete Folgen – im Alltag, im Arbeitsleben, in Schulen, in Krankenhäusern.
Der Begriff antimuslimischer Rassismus benennt genau das: ein gesellschaftliches Machtverhältnis, das Muslim:innen systematisch benachteiligt.
Antimuslimischer Rassismus ist Rassismus – nicht, weil es „biologische Rassen“ gäbe, sondern weil Menschen kollektiv abgewertet und ausgegrenzt werden. Rassismus lebt nicht von Genen, sondern von Zuschreibungen.
Wer fragt „Aber Muslime sind doch keine Rasse?“, verkennt, wie Rassismus heute funktioniert: Er markiert Gruppen als „anders“ und macht sie so zu Fremden – mit realen Konsequenzen für ihr Leben.
Hast du selbst oder jemand in deinem Umfeld antimuslimischen Rassismus erlebt?
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