Kopftuchdebatte an der FHNW: FIDS nimmt Stellung
Im Juni 2025 reichten zwei Grossrät:innen im Kanton Aargau eine Interpellation zur religiösen Kleidung einer Dozentin an der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) ein. Die Aargauer Regierung hat inzwischen geantwortet, sie erkennt die Glaubensfreiheit an und verweist auf die institutionelle Autonomie der FHNW.
Für FIDS ist der Fall symptomatisch für eine zunehmend polarisierte Debattenkultur.
In einer pluralistischen Demokratie ist es legitim, politische Anliegen über Vorstösse einzubringen auch wenn wir sie inhaltlich kritisch einordnen. Doch wenn wir im Jahr 2025 immer noch über Bekleidungsvorschriften für Frauen diskutieren müssen, wirft das grundsätzliche Fragen auf: Über das Verständnis von Religionsfreiheit, über das Vertrauen in mündige Frauen und über das Verhältnis von Staat und individueller Überzeugung.
Als föderal organisierter Dachverband beobachten wir mit Sorge, wie sich solche Debatten im Kreis drehen, oft losgelöst vom Alltag an Schulen oder Hochschulen. Gerade muslimische Frauen werden dabei immer wieder zur Projektionsfläche gesellschaftlicher Ängste gemacht.
Wir nehmen dabei zwei Haltungen wahr: Einerseits eine sicherlich gut gemeinte, aber meist undifferenzierte Absicht, muslimische Frauen vor vermeintlicher Unterdrückung zu schützen. Andererseits klassische Symbolpolitik, wie sie vom Egerkinger Komitee seit Jahren betrieben wird. In solchen Fällen geht es nicht wirklich um das Wohl der Frauen, denn dieselben politischen Kräfte sind bei anderen Gleichstellungsthemen meist auffallend still.
Wir begrüssen die differenzierte Antwort des Regierungsrats. Sie hält fest, dass das Kopftuch keine Rückschlüsse auf die Lehrqualität zulässt eine wichtige Klarstellung. Genau das erleben wir auch im Alltag. Die Dozentin wird sowohl von der Fachhochschule als auch von den Studierenden sehr geschätzt, und wir stehen regelmässig in Kontakt mit ihr. Was zählt, ist nicht das Erscheinungsbild, sondern die Haltung, die pädagogische Kompetenz und das Feedback aus dem Kollegium und von Studierenden.
Unsere Erfahrung zeigt zudem: Diskriminierung geschieht nicht durch religiöse Symbole, sondern oft durch Lehrpersonen, deren ideologische Haltung subtil mitschwingt, unabhängig von ihrer äusseren Erscheinung. Gerade in gesellschaftsbezogenen Fächern berichten uns Schüler:innen und Studierende von Benachteiligung aufgrund ihrer Religion oder Herkunft. Diese Dynamiken erkennt man nicht am Kopftuch, sondern an der Unterrichtspraxis.
Solche Vorstösse betreffen nicht nur die unmittelbar angesprochene Person, sondern senden auch ein Signal an alle muslimischen Lehrpersonen in der Schweiz. Sie zeigen: Nicht die fachliche Leistung, sondern die religiöse Kleidung kann zum Politikum werden. Das schafft Verunsicherung, insbesondere bei Frauen, die sich täglich professionell in ihrer Rolle bewegen und dafür qualifiziert sind. Umso wichtiger ist es, dass die betroffene Dozentin selbstbewusst auftritt, ihre Arbeit geschätzt wird und die Rechtslage vom Regierungsrat bestätigt wurde.
Was uns jedoch nach wie vor grosse Sorgen bereitet, ist der Spillover-Effekt solcher Interpellationen: In sozialen Medien folgen auf solche Vorstösse häufig Wellen von antimuslimischer Stimmungsmache. Die Angriffe treffen besonders Frauen mit Kopftuch. Viele junge Musliminnen, mit denen wir arbeiten, ziehen sich danach zurück, zweifeln an sich selbst und an ihrer gesellschaftlichen Zugehörigkeit. Diese Folgen sind real und müssen bei politischen Debatten stärker mitbedacht werden.
Zum Artikel: Neutral trotz Kopftuch?, in der Aargauer Zeitung vom 22. Sept. 2025 – Bericht von David Walgis