Kinderkopftücher in der öffentlichen Schule

Am 22. Oktober 2025 hat der Bundesrat seinen Bericht zum Postulat 22.4559 veröffentlicht. Eingebracht wurde es 2022 von Marianne Binder-Keller, später übernommen von Jacqueline de Quattro. Das Ziel: ein Kopftuchverbot für Schülerinnen unter 16 Jahren, insbesondere beim Sport- und Schwimmunterricht. Der Bundesrat kam zu einem klaren Schluss: Ein generelles Kopftuchverbot ist verfassungswidrig und unnötig.

Rechtliche Klarheit

Schon 2015 entschied das Bundesgericht (BGE 142 I 49), dass ein Verbot einen unverhältnismässigen Eingriff in die Religionsfreiheit darstellt. Das Kopftuch verhindere weder das Vermitteln von Lerninhalten noch einen geordneten Schulbetrieb. Auch der Föderalismus spricht dagegen: Bildung und Religion sind kantonale Kompetenzen. Der Bund darf keine nationale Regelung schaffen – es sei denn, die Verfassung würde geändert.

Der Bundesrat betont: Schulpflicht und Teilnahme am Unterricht sind heute bereits gewährleistet – auch im Sport und Schwimmen. Kantone verfügen über praktikable Lösungen: ein Ganzkörperbadeanzug, eine Schwimmkappe, funktionale Sportkleidung. Neutralität bedeute nicht, alles Religiöse aus Schulen zu verbannen, sondern allen Kindern Zugang zu Bildung zu garantieren.

Kinderrechte, Elternrechte, Selbstbestimmung

Die Diskussion dreht sich nicht nur um Stoff, sondern um Grundrechte.

  • Die UNO-Kinderrechtskonvention anerkennt die Religionsfreiheit ausdrücklich als Recht des Kindes.
  • Eltern haben ein Erziehungsrecht, das aber durch das Kindeswohl begrenzt ist. Ein Zwang zum Kopftuch wäre strafbare Nötigung.
  • Gleichzeitig gilt: Ein Mädchen, das aus eigenem Antrieb ein Kopftuch trägt, übt ein geschütztes Grundrecht aus.

Zwischen Aussenblick und Innenperspektive

Das Kopftuch ist Projektionsfläche. Von aussen wird es häufig als Symbol von Unterdrückung gedeutet, teils gar als sexualisierend. Von innen bedeutet es für viele religiöse Pflicht, Identität, Sicherheit – oder schlicht Tradition. Eine deutsche Studie zeigt: 89 % der Kopftuchträgerinnen nennen die Ausübung ihrer Religion als Hauptgrund. Zwang spielt laut den Erhebungen eine marginale Rolle.

Diskriminierung verschärft sich durch Verbote

Der Bericht verweist auf Studien, die die Benachteiligung von Frauen mit Kopftuch dokumentieren:

  • Auf dem Arbeitsmarkt müssen sie 4,5-mal mehr Bewerbungen versenden, um gleich viele Einladungen zu erhalten.
  • In der Berufsbildung erschwert das Kopftuch selbst mit guten Zeugnissen den Zugang zu Lehrstellen.
  • Im Alltag erfahren sie subtilere Diskriminierung – etwa weniger Hilfsbereitschaft in banalen Situationen.

Ein Verbot würde diese Stigmatisierung nicht aufheben, sondern verstärken.

Schule als Integrationsraum

Die öffentliche Schule ist nach Bundesratsverständnis nicht ein Ort der Uniformität, sondern der Integration. Sie soll Kinder nicht gleichmachen, sondern ihnen gleiche Chancen eröffnen. Toleranz und Pragmatismus sind dabei wirkungsvoller als rigide Vorschriften.

Als Föderation islamischer Dachorganisationen der Schweiz begrüssen wir diesen Bericht ausdrücklich. Das Postulat hat uns als muslimische Minderheit stark beschäftigt, umso wichtiger ist die klare Einschätzung des Bundesrats.

Wir sehen, wie das Kopftuch immer wieder in Medien und Politik als Symbolpolitik instrumentalisiert wird. Dabei geraten die betroffenen Mädchen selbst aus dem Blick. Wir lehnen jeden Zwang ab: Ein Kopftuch darf nur dann getragen werden, wenn es selbstbestimmt geschieht. Aber ein Kopftuch soll auch ohne Diskriminierung und Verhinderung getragen werden dürfen, wenn es der eigenen religiösen Überzeugung entspricht.

Zum Nachlesen: Bericht des Bundesrats „Kinderkopftücher in der öffentlichen Schule“