Islamwissenschaftler suchen den Dialog mit Journalisten
Schweizer Islamwissenschaftler sind besorgt, dass eine von Ängsten geprägte und tendenziell polarisierende öffentliche Debatte über den Islam auch auf die mediale Berichterstattung zurückzuführen ist. Sie gehen deshalb aktiv auf Journalisten zu, um gemeinsam nach Lösungen für eine faktenbasierte Öffentlichkeit zu suchen.
Das Wichtigste in Kürze
- Medien berichten meist über die zweitgrösste Religion der Welt – den Islam – in einem negativen Kontext und orientieren sich an Stereotypen.
- Journalisten verlieren sich oft in Details und vernachlässigen die komplexen Zusammenhänge.
- Am 23. November 2017 diskutieren an einer Tagung der SRG Zürich Schaffhausen Schweizer Islamwissenschaftler und Journalisten Lösungsansätze. SRG-Mitglieder sind herzlich eingeladen.
«Bieler Hass-Imam kassierte jahrelang Sozialhilfe.» Solche Schlagzeilen waren Ende August in den Schweizer Medien unüberhörbar. Gemäss Recherche des «Tages-Anzeiger» und der «Rundschau» soll der Imam Abu Ramadan in der Bieler Ar’Rahman-Moschee mit seinen Predigten üblen Hass gegenüber so genannten Ungläubigen verbreitet und zugleich seit Jahren auf Kosten des Schweizer Sozialstaats gelebt haben. Der Sachverhalt ist höchst irritierend, deutet auf einen Missstand hin und lässt nach Verantwortlichen fragen. Kurz: Das Ereignis hat einen hohen journalistischen Nachrichtenwert, wie das die Medienwissenschaftler nennen.
Das Beispiel steht aber auch für eine Vielzahl von Nachrichten, in denen die zweitgrösste Weltreligion vor allem in einem negativen Zusammenhang thematisiert wird. Gleichzeitig greifen Journalisten «normale» Ereignisse selten auf, wie dies beispielsweise die Sendung «Sternstunde Religion» kürzlich tat. Sie berichtete über die in Wil SG eingeweihte Moschee von albanischen Muslimen, die ohne Unterstützung aus dem Ausland und nur mit Hilfe von Freiwilligenarbeit lokaler Handwerker erbaut werden konnte.
Vereinfachung, Vorurteile und Unwissen
«Mancher Islamwissenschaftler nimmt die Berichterstattung über den Islam besorgt zu Kenntnis und schüttelt zuweilen resigniert den Kopf», meint Henning Sievert, Professor am Institut für Islamwissenschaft der Universität Bern. Er nimmt in der Medienberichterstattung oft eine allzu starke Vereinfachung wahr und vermutet eine «ungute Mischung von Vorurteilen und Unwissen». In der Schweiz lebende Menschen, die zuvor als Türken, Iraner oder Araber angesehen wurden, gälten heute einfach bloss als Muslime, als ob die religiöse Herkunft unabhängig von der Praxis zwangsläufig ihr Leben und Handeln bestimmte, beobachtet der Islamwissenschaftler.
Der Nahe Osten und der Islam würden in den Medien hauptsächlich als problematisch, krisenhaft und katastrophenträchtig wahrgenommen. Auch die Präsidentin des Interreligiösen Think-Tanks, Amira Hafner-Al Jabaji, meint, dass wegen der medialen Berichterstattung gerade bei jenen Menschen ein negatives Bild der Muslime entstünde, die kaum je mit ihnen in Berührung kommen. Diese Beobachtungen teilt auch die Medienwissenschaftlerin Carmen Koch von der ZHAW: Die auffällig häufige mediale Darstellung des Islam orientiert sich in den Schweizer Medien stark an Stereotypen und negativen Vorurteilen: radikal, extremistisch, gefährlich, aggressiv und konservativ. Tatsächlich berichten journalistische Medien auch in der Religionsberichterstattung eher über das, was vom Gewohnten und Erwartbaren abweicht; über das, was irritiert und weiteren Anlass zur öffentlichen Diskussion gibt.
Medienlogik und wissenschaftliche Logik prallen aufeinander
Den Islamwissenschaftler Henning Sievert beruhigt diese medienwissenschaftliche Erklärung nicht. Im Gegenteil: Er möchte versuchen, an einer von ihm initiierten Tagung Journalisten, Medien- und Islamwissenschaftler miteinander ins Gespräch zu bringen. Im journalistischen Alltag prallen Medienlogik und wissenschaftliche Logik oft unvereinbar aufeinander; dies meist erst angesichts akuter Krisen, über die von «neutralen Experten» möglichst rasch Informationen abgefragt werden. So fliessen beispielsweise in der Berichterstattung über die Flüchtlingskrise oder den Terror eine Vielzahl von jeweils komplexen Problemen zusammen, welche die Nahost-/Islamwissenschaft berühren und eine differenzierte Betrachtung notwendig machten. Nach Meinung des bekannten Nahost-Experten Erich Gysling verlieren sich die Journalisten jedoch oft in Details und vernachlässigten die grossen Linien: «Bei der Frage nach dem Grundproblem der ‹Radikalisierung› erfahre ich in den Schweizer Medien wenig oder nur sehr Ungenaues.»
Mehr als Konflikte
Journalisten und Experten wie Erich Gysling oder die Medienwissenschaftlerin Carmen Koch werden am 23. November zusammen mit mehr als 20 weiteren Experten/-innen und einem medieninteressierten Publikum der Frage nachgehen, wie es gelingen könnte, trotz restriktiver Medienlogik wichtige, aber dem Schweizer Publikum wenig bekannte Themen zum Islam in die Öffentlichkeit zu tragen. Henning Sievert ist überzeugt: Der Nahe Osten wie auch der Islam mit seinen zahlreichen Ausprägungen und Reformbewegungen hätten viel mehr zu bieten als Konflikte; seien es kulturelle Schätze, jetzige Schaffenskraft oder eine bis zu den Anfängen der Zivilisation zurückreichende Geschichte. Ob sich daraus auch journalistische Geschichten machen lassen, die ein interessiertes Publikum finden, müssen allerdings die Journalisten beurteilen.
Tagung Medien und Islam
An der Tagung «Islam und Naher Osten zwischen Medien und Wissenschaft» vom 23. November 2017 werden an der Universität Zürich journalistische und islam- sowie medienwissenschaftliche Sichtweisen miteinander ins Gespräch gebracht. Die daran anschliessende Abendveranstaltung um 18.15 Uhr am UZH-Zentrum lässt die an der Tagung herausgearbeiteten Verbesserungsvorschläge zum Gelingen einer wissensbasierten Kommunikation mit einem breiten, medieninteressierten Publikum diskutieren. Medienkritische Mitglieder der SRG sind sehr willkommen. Anmeldung.
Dieser Artikel wurde übernommen von SRG Deutschschweiz, vom 26.09.2017 übernommen.