Positionspapier: Ist Gleichberechtigung nur ohne Kopftuch möglich? 

Die FIDS und alle ihr angeschlossenen 16 Dachverbände, verfolgen die aktuell groteske Debatte um das Kopftuch mit ernster Besorgnis.

Manche Politiker mit negativen Ressentiments, JournalistInnen mit angeblichen Enthüllungen oder LeserInnen mit tiefen Vorurteilen betonen unablässig die Unvereinbarkeit muslimischen Lebens in der Schweiz oder in Europa.

Zu den Lehrerinnen mit Kopftuch:

Wie kann man von Gleichberechtigung für Frauen sprechen und gleichzeitig den Einstieg der Musliminnen ins öffentliche Leben wieder einschränken? Bei näherem Hinsehen wird erkenntlich, dass dabei ein verkürztes Verständnis von Religionsfreiheit vorliegt, das Integration behindert und Vielfalt in Schulen künstlich unterdrückt.

Zwar ist es richtig, dass der Staat keine Religion bevorzugen darf. Doch Neutralität bedeutet nicht Unsichtbarmachung, sondern Gleichbehandlung. Leider wird in diesem Diskurs oft der Kern der Neutralität verfehlt und eine einseitige Diskriminierung betrieben.

Eine Religionsgemeinschaft ist erst dann in einer Gesellschaft angekommen, wenn eine gleichberechtigte Teilhabe in allen Berufen ermöglicht wird. Die betroffenen Lehrerinnen betonen unablässig, dass das Tragen eines Kopftuchs eine Lebenseinstellung ist und ausser im privaten Umfeld nicht nach Tageszeit variieren kann. Ein Ansatz mit Verboten ist daher nicht inklusiv, sondern ausschliessend.

Der häufig geäusserte Vorwurf, dass Schülerinnen durch das Kopftuch einer Lehrerin unter Druck geraten könnten, entbehrt jeglicher wissenschaftlicher Grundlage. Vielmehr ist es wahrscheinlich, dass sich Kinder durch Vielfalt und Begegnungen im schulischen Umfeld positiv austauschen und Neues lernen können.

Die Gleichberechtigung der Frau kann nicht nur über das Kopftuch definiert werden. Selbstbestimmung und Gleichstellung werden nicht durch Restriktion, sondern durch Begegnung auf Augenhöhe erreicht. Zumal Lehrkräfte nicht wegen eines Kleidungsstücks eingestellt werden, sondern aufgrund ihrer pädagogischen und fachlichen Kompetenz. Insgesamt entsteht ein verzerrtes Bild, das pauschale Ängste schürt und Misstrauen verstärkt, anstatt die versprochene Neutralität zu wahren.

Die Neutralität des Staates bedeutet nicht, Religion aus dem öffentlichen Raum zu verbannen, sondern alle Religionsangehörigen gleich zu behandeln. Kinder von heute sollten lernen, dass es keine Rolle spielt, ob ihre Lehrperson ein Kopftuch, eine Kippa, ein Kreuz oder gar kein religiöses Zeichen trägt, solange sie kompetent und respektvoll unterrichtet. Alles andere ist ein Kampf gegen Scheingefahren – und eine vertane Chance für dringend benötigte Fachkräfte und eine wahrhaft offene Gesellschaft.

Zum beabsichtigten Verbot von Kopftüchern bei Schülerinnen und sogar im öffentlichen Raum:

Wie können Verbotsbefürworter die Schweizer Verfassung für sich beanspruchen, aber dann so extrem in die Grundrechte der Bevölkerung eingreifen?

Dem ganzen Diskurs liegt im Kern eine eindeutig diskriminierende Grundeinstellung zu Grunde, bei welcher Musliminnen die Partizipation in der Gesellschaft eher erschwert, anstatt vereinfacht wird.

Die Realität, dass manche junge Mädchen in Moscheen ein Kopftuch anlegen, ist keine geheime Enthüllung, sondern Ausdruck eines freiwilligen und altersgemässen Hineinwachsens in die religiöse Praxis ihres familiären und sozialen Umfeldes.

Wir betonen hier zudem erneut, dass es keinen Zwang im Glauben gibt. Das Anlegen des Kopftuches ergibt nur dann Sinn, wenn es aus persönlicher Überzeugung geschieht. Es ist eine vollends persönliche Entscheidung, die auch dann respektiert werden sollte, wenn sich jemand für oder gegen dieses Kleidungsstück ausspricht. Der Vollständigkeit halber wird hier festgehalten, dass im Islam das Kopftuch erst ab der Pubertät vorgesehen ist. Wenn über Kinderkopftücher gesprochen wird, stellt dies keine religiöse Pflicht dar.

Es ist weiter wichtig zu betonen, dass religiöse Gebote nicht ausschliesslich für Frauen gelten. Auch Männer folgen solchen Regeln in ihrer Kleidung, Ethik und ihrer Lebensweise. Wenn nur das Kopftuch der Frau in den Vordergrund gestellt wird, bleibt die Wirklichkeit einer religiösen Praxis für alle Geschlechter unbeleuchtet und die Spaltung zwischen Frauen und Männern wird vertieft.

Zudem wird in unseren Verbänden die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau entgegen immerwährenden Vorwürfen mit Nachdruck gepflegt und auch gefördert.

Abschliessend bleibt die Hoffnung, dass künftige Generationen Unterschiede in Kleidung und Lebensweisen im Beruf oder bei sozialen Verbindungen als selbstverständlichen Bestandteil einer vielfältigen Gesellschaft akzeptieren, solange niemandem geschadet wird und alle friedlich zusammenleben können.

In Zusammenarbeit mit