Stellungnahme um das Kopftuchverbot und die Petition des Egerkinger Komitees
Als Dachverband nehmen wir die aktuellen Entwicklungen mit grosser Sorge zur Kenntnis.
Die öffentliche Debatte rund um das Kopftuchverbot für Lehrpersonen hat in den letzten Tagen eine neue Eskalationsstufe erreicht. Gleichzeitig lanciert das Egerkinger Komitee eine Petition, die ein Verbot muslimisch begründeter Kopftücher an sämtlichen staatlichen Bildungsinstitutionen fordert – inklusive Schülerinnen und Kindern. Weitere Forderungen richten sich explizit gegen muslimische Feiertage, das Fasten im Ramadan sowie religiös motivierte Verhaltensweisen.
Diese Petition zielt ausschliesslich auf muslimische Kinder, Jugendliche und Lehrpersonen ab. Keine andere Glaubensgemeinschaft wird in dieser Weise adressiert. Das widerspricht nicht nur dem Gleichbehandlungsprinzip, sondern trägt zur systematischen Verunsicherung von Eltern und insbesondere junger Musliminnen bei – also genau jener Generation, die sich in der Schweiz bildet, integriert und einbringen möchte.
Was bedeutet Neutralität wirklich?
Wir nehmen das Anliegen des Dachverbands der Lehrerinnen und Lehrer zur staatlichen Neutralität ernst. Die Diskussion um religiöse Symbole betrifft sensible Fragen im Spannungsfeld von staatlicher Neutralität, individueller Religionsfreiheit und gesellschaftlicher Vielfalt.
Doch Neutralität bedeutet nicht, religiöse Symbole aus dem öffentlichen Raum zu verbannen. Neutralität zeigt sich in der Haltung, im Handeln – nicht im Äusseren. Eine Lehrperson, die ein Kopftuch trägt, kann neutral, professionell und kompetent unterrichten. Ein pauschales Verbot suggeriert hingegen, dass Neutralität nur durch Unsichtbarkeit bestimmter Gruppen erreicht werden kann. Das ist nicht nur falsch, sondern auch diskriminierend.
Ein Kopftuch – genauso wie eine Kippa oder ein Kreuz – verändert nicht den Charakter eines Menschen. Wer etwa einer Lehrperson mit Kopftuch pauschal eine extremistische Haltung unterstellt, müsste konsequenterweise auch glauben, dass diese Haltung mit dem Abnehmen des Kopftuchs einfach verschwindet. Aber so funktioniert das nicht.
Aus unserer Sicht sollten Schulen selbst entscheiden können, welche Lehrpersonen zu ihrem Team passen. In vielen Schulen – besonders in urbanen Gebieten – kann eine Lehrperson mit Migrationshintergrund eine enorme Ressource sein. Sie bringt Nähe, Repräsentation, und oft auch Brücken zwischen Lebenswelten. Für manche Klassen ist genau das ein Gewinn.
Die 2024 veröffentlichte Studie «Antimuslimischer Rassismus in der Schweiz» des Schweizerischen Zentrums für Islam und Gesellschaft (SZIG) in Zusammenarbeit mit dem Bundesprogramm FRB zeigt deutlich:
«Ein Drittel der befragten Personen erlebt Diskriminierung in Schulen – sowohl durch andere Schüler:innen als auch durch das Lehrpersonal.»
«Antimuslimischer Rassismus in der Schule wird häufig bagatellisiert oder nicht systematisch erfasst. Betroffene haben oft den Eindruck, dass ihre Beschwerden nicht ernst genommen oder abgewiegelt werden.»
Diese Diskriminierung erfolgt meist ohne sichtbare religiöse Symbole. Es geht um Namen, Hautfarbe, Sprache oder Zuschreibungen. Dennoch fehlen in diesen Fällen oft mediale Aufmerksamkeit oder politische Reaktionen – im Gegensatz zu einer einzelnen Lehrperson mit Kopftuch.
Instrumentalisierung des Kopftuchs und unser Verständnis
Wir beobachten derzeit, dass das Kopftuch politisch instrumentalisiert wird – auch durch sogenannte „islamkritische Stimmen“, darunter Personen, die selbst als muslimisch gelesen werden. Oft stammen sie aus Kontexten, in denen sie persönlich unter repressiven Auslegungen von Religion gelitten haben. Diese Erfahrungen verdienen Mitgefühl – aber sie lassen sich nicht 1:1 auf die Realität von Frauen in der Schweiz übertragen.
Wir leben in einem freien Land. Zwang – sei es zum Tragen oder Ablegen des Kopftuchs – ist mit islamischen Grundwerten nicht vereinbar. Der Islam kennt keinen Zwang im Glauben. Musliminnen, die sich frei und selbstbestimmt für das Kopftuch entscheiden, sollten nicht pauschal unter Generalverdacht gestellt werden. FIDS steht ein für die Selbstbestimmung aller Frauen – unabhängig davon, ob sie ein Kopftuch tragen oder nicht.
Die pauschalen Forderungen des Egerkinger Komitees sind nicht nur rechtlich fragwürdig, sondern gesellschaftlich gefährlich. Sie stärken nicht die Neutralität der Schule – sie gefährden sie.
Gerade in einem föderal aufgebauten Bildungssystem, in dem Schulen je nach Region sehr unterschiedliche Voraussetzungen haben, braucht es differenzierte, lösungsorientierte Ansätze statt ideologisch motivierter Pauschalregeln.
FIDS steht als Dialogpartnerin zur Verfügung – für Lehrpersonen, Schulleitungen, Bildungsdirektionen, Elternvertretungen und Fachstellen. Unser Ziel ist es, gemeinsam tragfähige Lösungen zu entwickeln, die Diskriminierung abbauen und Vielfalt ermöglichen.
Denn wer echte Neutralität will, muss bereit sein, bestehende Ungleichheiten anzuerkennen. Der Umgang mit Diversität braucht keine Verbote, sondern Haltung, Dialog und Vertrauen in die Professionalität der Bildungsakteur:innen.